Indien: Rajasthan

Im Märchenland der Maharajas
Auf Schritt und Tritt begegnet man im Wüstenstaat Rajasthan Zeugnissen und Monumenten altindischer Religionen, uneinnehmbaren Festungen auf schroffen Bergrücken und märchenhaften Palästen. Und nicht zuletzt ist es die Farbenfreude im täglichen Leben auf den Straßen, die die Vorstellung eines Indien aus Tausendundeiner Nacht lebendig werden lässt.
Fotos: Hans Gumpinger / Toni Schmoll

Wir hupen immer wieder. Und immer lauter. Doch die Kühe vor unserer Kühlerhaube scheint das nicht zu stören. Denn sie gelten als heilig – und das scheinen sie zu wissen. Wir befinden uns im Norden Indiens, genauer gesagt in Rajasthan. Und so individuell wie unsere Programmgestaltung ist auch die Art der Fortbewegung. Anstelle eines großen, geschlossenen Touristenbusses legten wir die rund 4000 km in zwei offenen Jeeps zurück. Dadurch bieten sich viele Möglichkeiten, das Land hautnah zu erleben: Im Gewühl der Städte neigt sich beispielsweise ein Rikscha-Fahrer zu uns herüber und wünscht uns einen schönen Tag. Oder wir nehmen Anhalter ein Stück des Weges mit.

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Ein Land mit Vielfalt und Tradition

Der ausgedehnte Wüstenstaat ist das traditionelle Herkunftsland der Maharadschas. Noch bis zum Jahre 1949 gab es 22 regionale Königreiche, und die Region trug den Namen “Rajputana”. Die Rajputen (“Fürstensöhne”), die seit dem 6. Jahrhundert die Geschichte des Landes prägten, waren eine ruhmreiche und tapfere Kriegerkaste, die den politischen und sozialen Drehpunkt des Lebens bildeten.

Die ethnische Vielfalt und die Mannigfaltigkeit der Sitten und Gebräuche machen den besonderen Reiz des Landes aus. Wohl in keiner anderen Gegend des Subkontinents besitzt die Vergangenheit einen so starken Einfluss auf die Gegenwart wie in Rajasthan.

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Allein die Szenen, die wir täglich auf den Straßen sehen können, belegen dies in eindrucksvoller Weise: brennende Räucherstäbchen vor den Geschäften zur Verehrung von Gottheiten, verschleierte Frauen, fahrende Händler, die mit der Waage in der Hand lautstark ihre Waren anpreisen und gleich daneben Hinweistafeln für “computer education”. Die Grenzen zwischen dem Gestern und Heute gehen fließend ineinander über. Die Havelis in Shekavati - Glanz alter Zeiten

Auf Schritt und Tritt begegnet man hier uneinnehmbare Festungen auf schroffen Bergrücken und märchenhaften Plästen. Von der Hauptstadt Jaipur aus ging es direkt in die Provinz Shekavati, die im Dreieck zwischen Jaipur, Bikaner und Delhi liegt. Die Straßen in diesem Gebiet waren einst wichtigen Karawanenwege, auf denen die Erzeugnisse Indiens, Kaschmirs und des fernen Chinas über die Seidenstraße im Tausch gegen die Erzeugnisse des Abendlandes umgesetzt wurden.

Durch diesen florierenden Handel gelangten die Kaufleute von Shekavati, die Mewaris, zu großem Reichtum. Mit dem vielen Geld ließen sie sich prachtvolle Havelis errichten, von denen wir schöne Beispiele in Mandawa, Lachmangar oder Faktepur sehen. Der Reichtum der Besitzer zeigt sich heute noch in den zahlreichen und vielfältigen Fresken: Die Toreingänge, die Fassade, die Wände der Innenhöfe, die Balkonbrüstungen sowie die Deckenwände sind alle farbenfroh bemalt.

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Sonnenuntergang in der Wüste Thar

Mehr als die Hälfte Rajasthans ist Wüste oder Halbwüste. Die endlos erscheinenden Sandflächen der Wüste Thar, die an Pakistan angrenzt, werden von malerischen Dünen unterbrochen, die beim ersten Hinsehen glatt und fest wirken. In Wirklichkeit sind sie aber nicht ungefährlich, denn der Sand liegt nur locker auf und unversehens kann man bis zu den Knien einsinken.

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Die Wüste ist die Welt der Kamele und Kameltreiber (Raikas). Diese “Schiffe der Wüste” bringen uns auf eine Anhöhe, von wo aus wir ein besonderes Naturschauspiel erleben: den Sonnenuntergang in der Wüste. Wenn sie wie ein Feuerball hinter dem Horizont verschwindet verzaubert die Sonne die Sanddünen und die ganze Landschaft in wenigen Augenblicken in eine unbeschreibliche Farbenpatte der Natur.

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In der Dämmerung geht es dann zu einem kleinen Lagerplatz, wo wir bereits aus einiger Entfernung das Flackern des Lagerfeuers erkennen können. Um das Feuer herum sind bereits Matten ausgebreitet, die uns als Sitzgelegenheiten dienen und auf kleinen Holzgestellen werden typische indische Gerichte serviert. In der Zwischenzeit haben sich auch einige Musikanten eingefunden, die uns mit alten Melodien und Gesängen unterhalten, zu denen auch hübsch gekleidete Frauen tanzen. Eine idyllische und romantische Atmosphäre am Rande der Dünen.

Steinerne Zeugen der Maharadschas

Das Bild der Wüste ist nur die eine Seite des Landes - es gibt auch Kontrastbilder von mächtigen Festungen auf hohen Bergen sowie Palästen, die sich im Wasser idyllischer Seen spiegeln. Die antiken Städte Jaisalmer, Jaipur, Jodhpur oder Udaipur sind allesamt steinerne Monumente der bewegten Geschichte. Die Endsilbe “pur” bei den Stadtnamen weist übrigens darauf hin, daß hier einst Könige residierten.

Ein eindrucksvolles Beispiel für den Festungsbau ist die Mehranghar - Festung in Jodhpur. Die Stadt und das gewaltige Fort wurden im Jahre 1459 von Rao Jdha aus dem Sonnengeschlecht der Rathore gegründet. Die Festung steht auf einem mächtigen, 120 m hohen Felsen und ist durch eine Mauer mit sieben Toren geschützt, die an einigen Stellen 36 Meter hoch ist.

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Beim letzten Tor sahen wir 31 Handabdrücke in Stein. Sie erinnern an die königlichen Sati - die Witwen der Maharajas. Sati sind Frauen, die sich nach dem Tod ihres Mannes auf dem Scheiterhaufen verbrannten. Der Ruhm eines Maharadschas wurde auch daran gemessen, wie viele Frauen nach seinem Tod Sati wurden. Beim Tod von Ajit Singh im Jahre 1731 folgten ihm beispielsweise sechs Königinnen und 58 Konkubinen auf dem Scheiterhaufen, auf dem seine Leiche verbrannt wurde.

Wohnen im Palasthotel

Zu den romantischsten Städten Rajasthans gehört zweifelsohne Udaipur, das 1667 von Maharana Udai Singh gegründet wurde. Beherrscht wird das Stadtbild von der gewaltigen Palastanlage, die sich in mehreren Jahrhunderten zu einem mehr als 500 Meter langen Monumentalkomplex entwickelte. Der einstige Wohnsitz des Königshauses von Mewar setzt sich heute aus vier großen und mehreren kleinen Palästen zusammen, die auf der Seite zum Pichola See eine eindrucksvolle Fassade bilden.

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Auf dem großen Platz vor dem Palasteingang wurden einst Hunderte von Elefanten, die gesamte Infanterie und die Artillerie vor den Schlachten versammelt und auf ihre Kriegstauglichkeit hin überprüft. Im Palastinneren sieht man sich mit einer Fülle von Höfen, Gärten, Gemälden, Galerien und Gemächern konfrontiert, die durch ihre reichen Verzierungen insgesamt wie ein großes Museum aus einer Märchenwelt anmuten. Besonders sehenswert sind die filigran gearbeiteten Einlegearbeiten aus buntem Glas, die Mosaike sowie die mit zahlreichen kleinen Spiegeln geschmückten Wände. Die königlichen Gemächer sind mit kostbaren Gemälden verziert, die häufig Krishna beim Spiel mit den Hirtenmädchen zeigen.

Teile des Stadtpalastes sind heute ein Hotel, so dass wir zwei Nächte die Chance haben, den majästetischen Luxus vergangener Zeiten zu genießen. Größer hätte der Kontrast wohl nicht sein können: vom Schlafen auf dem Wüstenboden zum luxuriösen Palasthotel. Ein weiters Luxushotel ist das Lake Palace, das auf einer Insel des Pichola - Sees liegt und durch den James - Bond -Film “Octopussy” weltberühmt wurde.

Götter und Tempel

Das Alltagsleben Rajasthans wird geprägt von zahlreichen religiösen Festen, Kult-handlungen und Ritualen. Die bedeutendsten Glaubensrichtungen sind Hinduismus, Buddhismus, Islam und Christentum. Daneben gibt es noch zahlreichen Sekten und Naturreligionen.

Im Zentrum des Hindu - Pantheon stehen die Gottheiten Brahma, Vishnu und Shiva. Brahma gilt als der große Schöpfer des Universums. Ein sehr populärer Aspekt der Hindu - Dreifaltigkeit ist Vishnu, der Erhalter der Welt. Shiva hat viele Rollen: er ist gleichzeitig Zerstörer und Schöpfer - das Ende und der Anfang aller Dinge.

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Als sicherlich populärste Gottheit kann man Ganesha bezeichnen, den Sohn von Shiva und Parvati. An seinem Elefantenkopf und dickem Bauch ist er leicht zu erkennen. Bei fast jedem Hindu-Haus finden wir über der Schwelle oder auf der Mauer neben dem Eingang ein Bildnis von Ganesha. Die Kaufleute und Ladenbesitzer beginnen ihren Tag damit, eine Lampe oder Räucherstäbchen vor einer Ganesha - Statue anzuzünden. Auch vor religiösen Feiern oder Zeremonien wird er angerufen.

Unter Ratten beten

Eine Tempelanlage besonderer Art erleben wir in Deshnok, etwa 30 km von Bikaner entfernt. Hier wird Karni Devi, einer Inkarnation der Göttin Durga, als Schutzgöttin der Bikaner - Dynastie verehrt. Der Tempel ist nicht so sehr wegen seiner Architektur berühmt, sondern wegen der Heerschar von Ratten und Mäusen, die hier ebenfalls verehrt werden.

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Überall huschen die Tiere umher oder fressen aus riesigen Metallschüsseln, die voll sind von Milch, Süßigkeiten oder Getreide, das von Gläubigen gespendet wird. Ratten gelten in der Hindu-Mythologie als Sinnbild für Schläue und Ernteertrag, da sie sich sogar zu versperrten Getreidespeichern Zugang verschaffen können. Wie bei jedem Tempel müssen wir auch hier vor dem Betreten unsere Schuhe ausziehen. Es ist ein eigenartiges Gefühl, zwischen 2.000 Ratten und Mäusen barfuß über das Areal zu gehen…

Glanzvoller Abschluss: das Pushkar - Fest

Pushkar, eine kleine Stadt mit 11.000 Einwohnern in der Nähe von Ajmer, ist die wichtigste Wallfahrtsstätte Rajasthans. Nach den heiligen Erzählungen blickte der Schöpfergott Brahma einst versonnen auf die irdischen Gefilde herab, und seinen Händen entglitt eine Lotusblüte - die Blüte der Reinheit. Die Blütenblätter fielen zur Erde und berührten dreimal den Boden. Quellen brachen hervor und füllten eine Senke inmitten einer weiten Sandwüste. Wohlgefällig betrachtete Brahma den glitzernden See und benannte ihn nach der Lotusblüte Pushkar. Brahma wird daher an diesem Ort ganz besonders verehrt und in Pushkar steht somit Indiens einzige bedeutendste Kultstätte für die Schöpfergottheit.

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Um den Vollmond im Monat Karttika (November) verwandelt sich die heilige Stätte und die westliche Wüste für zwölf Tage in ein riesiges Lager und einen Jahrmarkt mit unglaublichen Dimensionen: 16.000 Stück Vieh (Ziegen, Pferde, Büffel und vor allem Kamele) werden hier aufgetrieben und über 100.000 Pilger und Händler werden jährlich erwartet. Wir können uns gar nicht sattsehen bei unserem Rundgang durch den weltgrößten Kamelmarkt:

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In den engen Straßen der Stadt herrscht um die Zeit des Pushkarfestes ein atemberaubendes Gedränge. Sicherlich nichts für ängstliche Gemüter, denn man wird mit dem Menschenstrom förmlich mitgerissen – ob man will oder nicht. Und wenn man Glück hat, in die Richtung, in die man selbst hinmöchte.

Unser Weg führte uns zum Brahma - Tempel, der auf einer kleinen Anhöhe liegt. Um dem Ansturm der Pilger gewachsen zu sein, gibt es hier ein “Einbahnsystem”. Das bedeutet: die Schuhe vor dem Tempel ausziehen, das Heiligtum besichtigen und das Areal auf der anderen Seite wieder verlassen. Doch wie nun zu den Schuhen gelangen? In dieser Situation zeigte sich wieder einmal, wie gut unser Reiseleiter seine Gruppe schon kennt: Irgendwie ist es ihm gelungen, sich einen Weg zum Tempeleingang zu bahnen und unsere Schuhe zu holen. Freudig nehmen wir sie entgegen – bis auf einen unserer Freunde, den wir aufgrund seiner intensiven Fotostudien verloren haben. Für kurze Zeit wandelt er barfuß durch Pushkar.

Gemeinsam mit den Pilgern gelangen wir schließlich zum heiligen See, der von 52 Ghats begrenzt ist, die im Laufe der Jahrhunderte von Königen und Edelleuten erbaut wurden. Was den Tibetern der Manasarovasee bedeutet, ist den Hindus der Pushkar - See: Himmlische Gnade hatte dem heiligen Gewässer sündentilgende Kraft verliehen und ein Bad verheißt eine bessere Wiedergeburt und letztlich die Rückkehr zum göttlichen Ursprung. Zum Vollmond ist das Wasser besonders glücksverheißend. Tausende Menschen strömen daher die ganze Nacht hierher, um im See ein Bad zu nehmen.

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Die einzigartige Atmosphäre nimmt auch uns gefangen. Ehrfürchtig betrachten wir die rituellen Handlungen, einige von uns steigen die Stufen zum See hinab, um das Wasser zu berühren. Nach einer Spende bekommt jeder von einem Brahmanenpriester ein Bändchen ums Handgelenk gebunden – ein Zeichen, das uns noch lange nach unserer Rückkehr an diese einmalige an diese einmalige Reise erinnern wird.


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