Madagaskar

Im Land der Lemuren
„Wir lagern vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord…“ Unzählige Male hatten wir dieses Lied bei den Pfadfindern gesungen. „Madagaskar“ wurde für mich zum Inbegriff von Abenteuer und schon damals reifte der Wunsch bei mir, diese geheimnisumwobene Insel zu besuchen. Nun ist der Traum Wirklichkeit geworden.

Der sechste Kontinent

Wie kein anderes Land auf der Welt verfügt die Gewürzinsel auf kleinem Raum über eine spektakuläre Vielfalt an Flora und Fauna, unterschiedlichen Klimazonen sowie abwechslungsreiche Landschaften. Nicht zu Unrecht wird Madagaskar daher oftmals als sechster Kontinent bezeichnet.

Wie kam es zu dieser Einzigartigkeit? Dazu muss man zu den Anfängen der Erdgeschichte zurückgehen. Vor vielen Millionen Jahren gehörte Madagaskar noch zum Urkontinent Gondwana zu dem das heutige Afrika, Indien und Australien gehörte.

Vor vielen Millionen Jahren gehörte Madagaskar noch zum Urkontinent Gondwana mit dem heutigen Afrika, Indien und Australien. Vor etwa 200 Millionen Jahren zerbrach dieser riesige Kontinent, im Zuge der Kontinentalverschiebung löste sich Madagaskar von der afrikanischen Kontinentalmasse. Seither ist es vom Rest der Welt weitgehend isoliert. Durch diese Abgeschiedenheit hat eine einzigartige Pflanzen- und Tierwelt entwickelt.

Insel der Lemuren

Die berühmtesten Beispiele für diese Evolution sind die Lemuren, die sogar auf einem Geldschein abgebildet sind. Die Tiere, auch Makis genannt, waren vor 150 Millionen Jahren noch über den gesamten Erdball verbreitet. In Abwesenheit von natürlichen Feinden entstanden auf Madagaskar knapp hundert verschiedene Lemurenarten, während sie in der restlichen Welt von den höher entwickelten Affenarten verdrängt wurden.

Auf unseren Wanderungen durch die Nationalparks haben wir immer wieder Gelegenheiten, sie in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten. Die erste Chance bot sich an der Ostküste im Gebiet von Akanin‘ny Nofy. Dort befindet sich der über 600km lange Pangalanes-Kanal, der mehrere Seen miteinander verbindet. Am Rande des Ampitabe See liegt der ca. 50 Hektar große Palmarium Naturpark. Hier hatten wir die ersten Kontakte mit den bekannten Geschöpfen.

An manchen Stellen ist der Dschungel nahezu undurchdringbar, und wir kommen nur dank der Macheten unserer Begleiter durch das Dickicht. Immer wieder muss man mit einem Regenguss rechnen. Die erste Chance bietet sich an der Ostküste im Gebiet von Akanin‘ny Nofy: Sehr neugierig und gar nicht scheu kommen uns die kleinen Kronenmakis entgegen. Sie werden nur etwa 35 Zentimeter groß und leben am liebsten in kleinen Gruppen.

Die größten Lemuren sind die Indris – schwarz-weiße Baumbewohner. Sie werden bis zu 80 Zentimeter groß. Ihr Territorium markieren sie mit seltsamen Schreien. Einige Volksgruppen glauben, dass in den Indris die Seelen der Toten weiterleben. Dieser Aberglaube ist für die Tiere sehr vorteilhaft, denn so werden sie nicht gejagt.

Im Dunkel der Nacht

Etliche Lemurenarten sind nachtaktiv. Und so begeben wir uns am Abend mit Stirnlampen auf die Suche nach einem seltenen und fast ausgestorbenen Waldbewohner, dem Aye-Aye. Die Einheimischen haben es lange Zeit für Unglücksboten gehalten und getötet.

Lautlos wandern wir im Dunkeln durch das Gestrüpp. Eine ganz eigene Atmosphäre umgibt uns. Lediglich die Geräusche unserer Schritte im Laub am Boden sind vernehmbar. Endlich raschelt es vor uns im Geäst und ein Nagen verrät, dass das Aye-Aye die von den Guides aufgehängten Kokosnuss gefunden hat. Das Tier sieht auf den ersten Blick etwas gespenstig aus: große Ohren wie eine Fledermaus, ausgeprägte Nagezähne und ein extrem langer Mittelfinger der Vorderpfoten. Aufgrund dieses Merkmals sind diese Lemuren auch unter dem Namen Fingertier bekannt.

Mit seinen großen Ohren hört das Tier, was unter der Baumrinde passiert und kann so Maden und Würmer orten. Mit seinen scharfen Zähnen beißt es dann die Rinde ab und holt sich mit seinem langen Finger die Insekten aus den Löchern im Baum. Unbeirrt vom Licht unserer Lampen langt das Aye-Aye vor uns mit seiner langen Klaue in die Kokosnuss hinein, holt das Fleisch heraus und schlürft den Saft.

Bei einer anderen Nachtpirsch im Westen der Insel konnten wir das berühmten Mausmaki aufspüren. Diese Lemurenart ist der kleinste Primat der Welt: seine Kopfrumpflänge beträgt rd. 10 cm und er wiegt zwischen 30 und 100 Gramm. Mit seinen großen Augen sieht es sehr putzig aus.

Chamäleons – Meister der Tarnung

Unserem Guide ist es zu verdanken, dass wir immer wieder auf Geschöpfe gestoßen sind, die wir mit den eigenen Augen niemals entdeckt hätten. So zeigte er uns beispielsweise einen winzig kleinen Mini-Frosch, der kleiner als ein Fingernagel ist.

Leichter anzutreffen sind die farbenfrohen Chamäleons. 80 Arten dieser Tiere leben hier, wobei die meisten endemisch sind. Sie sind Meister der Tarnung, indem sie indem sie ihre Hautfarbe je nach Licht und Temperatur anpassen können. Die Tiere können extrem scharf sehen. Ihre stark vorstehenden Augen lassen sich wie Bälle in alle Richtungen drehen. Dabei kreiseln die Augäpfel unabhängig voneinander. Erst wenn ein Auge etwas Interessantes erspäht hat, richtet sich auch das zweite darauf.

Chamäleons haben eine ganz spezielle Fangmethode. Zunächst warten sie bewegungslos auf ihre Beute wie Mücken, Spinnen oder Heuschrecken. Wenn ihnen dann ein Leckerbissen vor die Augen kommt schleudern sie ihre Zunge wie eine Harpune blitzschnell aus dem Maul! Dabei kann die Zunge das Zweifache der Körperlänge an Distanz zur Beute überbrücken.

Zwischen Felsnadeln und Schluchten

Szenenwechsel: Eine kleine Propellermaschine bringt uns an die Westküste der Insel. Das Klima ist hier völlig anders: Anstelle von Regen erwarten uns in der nächsten Zeit Trockenheit und Temperaturen über 30 Grad. Mit Geländefahrzeugen geht es durch eine typisch afrikanische Landschaft über staubige und holprige Pisten, die Fahrzeug und Fahrer viel abverlangen. Oft überqueren wir Flüsse oder haben Bootsfahrten mit sehr einfachen Fähren auf dem Tsiribihina-Fluss. Langsam ziehen die malerische Flusslandschaft und das Leben der Einheimischen an uns vorbei. Zeit zur Entschleunigung und Vorbereitung auf die nächsten landschaftlichen Highlights.

Ein Beispiel für solche ist der Nationalpark Tsingy de Bemaraha. Er ist berühmt für seine bizarren Felsformationen, die vor rund 200 Millionen Jahren entstanden sind, als Madagaskar noch unter dem Meeresspiegel lag und es hier ein riesiges Korallenriff gab. Erosion durch Regen, Wasser und Wind haben aus dem alten Korallengestein bis zu 50 Meter hohe, steinerne Spitzen geformt. Das gesamte Gebiet sieht aus wie ein spektakulärer Wald aus Felsnadeln.

Dieses unzugängliche Gebiet mit vielen engen Schluchten diente einst den Vazimbas, den Ureinwohner Madagakars, als Versteck als sie auf der Flucht vor den expandierenden Merina waren. Das madagassische Wort „tsingy“ bedeutet so viel wie „auf den Zehenspitzen gehen“. Gut, dass wir feste Schuhe anhaben. Schließlich sind wir keine Lemuren sie springen zwischen den scharfen Felsen einfach umher.

Tanzende Lemuren

Als krönender Abschluss dieser Tour wartet am Waldrand eine spezielle Lemurenart auf uns: die „Von der Decken-Sifakas“. Diese fast schneeweißen Tiere mit ihren dunklen Gesichtsmasken sind tagaktiv und leben in kleinen Gruppen. Insgesamt umfasst die Gattung neun Arten, die alle auf Madagaskar vorkommen. Wenn sich die Sifakas auf den Erdboden wagen, bewegen sie sich in weiten Sprüngen fort, wobei sie immer aufrecht mit den Hinterbeinen zuerst landen und bei jedem Sprung die Arme in die Höhe reißen. Diese spezielle Art der Fortbewegung hat ihnen auch den Spitznamen „tanzende Lemuren“ eingebracht.

Die Mutter des Waldes

Auf der Fahrt Richtung Morondava erreichen wir den landschaftlichen Höhepunkt einer jeden Madagaskar-Reise: die berühmten Baobab-Bäume, auch Affenbrotbäume genannt. Sie sind zum Wahrzeichen der Insel geworden. Auf madagassisch heißt der Baumriese „Reniala” (=Mutter des Waldes). Alles am Baobab ist verwertbar: Mit der Rinde deckt man Dächer, mit den Fasern dreht man Schnüre. WeitersEs werden auch Nahrung, Futter, Öl und Arzneimittel gewonnen.

Die Bäume sehen aus, als ob sie mit der Wurzel nach oben in die Erde gerammt worden wären. Ihre flache Krone kann bis zu 20m Durchmesser haben. Eine optische Spielerei der Natur sind die „sich liebenden Baobabs“ mit ihren ineinander verdrehten Stämmen. Auf nahezu allen Prospekten abgebildet ist die spektakuläre Baobab-Alle. Sie ist ein 260 Meter langer Abschnitt einer Sandpiste, wo sich 20 bis 25 Exemplare majestätischen in Reih und Glied aufreihen. Mit vielen anderen Schaulustigen warten wir hier auf den Sonnenuntergang. Eine einmalige Szene, wenn sich die Silhouetten der knorrigen Riesen vor der untergehenden Sonne abheben.

Vielfalt der Kulturen

Faszinierend sind auch die Menschen, die hier leben. Aufgrund der Nähe zum afrikanischen Kontinent würde man meinen, dass die ersten Siedler von Afrika gekommen wären. Doch die ersten Einwohner Madagaskars waren vor etwa 2.000 Jahren Seefahrer aus Südostasien. Nur mit Hilfe der Passatwinde und mit einfachen Auslegerbooten schafften sie die fast 7.000 km lange Überfahrt über den indischen Ozean. Erst ab dem dritten Jahrhundert überquerten Bantu-Siedler aus Afrika die Straße von Mosambik. In der Zeit ab dem achten Jahrhundert landeten dann arabische Händler an Madagaskars Küsten.

Heute bevölkern 18 ethnische Gruppen die Insel. Auf unserer Reise lernen wir beispielsweise die im Hochland lebenden Ethnien wie die Merina und die Betsileo kennen, die asiatischen Ursprungs sind. In den Küstengebieten haben wir wiederum Kontakt mit Menschen, deren Vorfahren aus Afrika eingewandert sind.

Die harte Realität

Im an der Westküste gelegenen Städtchen Morondava begegnen wir den Sakalava. Bereits früh war diese Stadt für sie ein bedeutendes Zentrum, von wo aus sie mit den Seefahrern aus Europa Handel betrieben haben. Für meine Erkundigungen benütze ich eine Fahrrad-Riksha, mit der ich das Alltagsleben und die Atmosphäre gut auf mich einwirken lassen kann. Der Fahrer bringt mich zum zentralen Markt, wo sich sowohl an den Straßenrändern, als auch im überdachten Bereich ein Marktstand neben den anderen reiht. Märkte sind wichtig, weil die Menschen keinen Kühlschrank haben und daher täglich Einkäufe tätigen müssen.

Neben dem bunten Treiben der Menschen bleibt aber auch die harte Realität nicht verborgen: Zwischen den Marktständen treffe ich immer wieder auf Kinder, die verschieden Dinge anbieten. Einige Buben verkaufen Holzkohle, Mädchen Gebäck und Kuchen. Dieses Erlebnis weist auf eine problematische Situation hin: Obwohl Kinderarbeit offiziell verboten ist, müssen fast ein Viertel der Buben und Mädchen zwischen fünf und 17 Jahren Geld verdienen, um sich und ihre Familie über Wasser zu halten.

Kinder verrichten im Land oft auch Arbeiten, die ihnen nicht zugemutet werden kann. Sie arbeiten z.B. auf den Feldern, in der Fischerei, in den Steinbrüchen oder in Minen. Vor allem in den Minen werden oftmals kleine Kinder (verbotenerweise) eingesetzt, weil sie leichter durch die Stollen kriechen können.

Denn im krassen Gegensatz zur Schönheit und zum Reichtum der Natur Madagaskars stehen die Lebensverhältnisse der Menschen: Der Inselstaat ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die große Mehrheit der Bevölkerung lebt in extremer Armut. Sieben von zehn Madagassen müssen mit weniger als einem Euro am Tag leben. Die jährlich um drei Prozent wachsende Bevölkerung sowie natürliche Widrigkeiten wie Wirbelstürme und Dürreperioden verschärfen diese Problematik.

Traditionelles Leben der Fischer

In der Straße von Mosambik sind wir mit einem typischen Einbaum unterwegs zur Halbinsel Betania. Gemächlich geht unsere Bootsfahrt entlang der Mangrovenwälder, deren Holz als Bauholz verwendet wird. In diesem Gebiet lebt die Volksgruppe der Vezo. Es ist eine afrikanisch stämmige Ethnie, die sich stark von den anderen Gruppen unterscheidet. Ihr Name „Vezo“ bedeutet „Paddel“ bzw. „Ruder“ und verweist bereits auf ihre Haupttätigkeit: einst als Seenomaden unterwegs leben die Menschen heute vor allem von der Fischerei.

Mit ihren aus leichtem Balsaholz bestehenden Pirogen fahren sie auf das Meer hinaus zum Fischfang, wobei sie große Netze benutzen. Während die Männer draußen am Meer sind, sammeln die Frauen am Strand Algen und Seeigel. Ihre Gesichter haben sie mit einer Paste aus der Sandelholzpulver eingerieben, die sie gegen die Sonne schützt.

Als wir an ihrem Strand ankamen sind alle sehr beschäftigt: die Frauen bemühen sich, die silbern schillernden kleinen Fischen aus den Netzen zu klauben. Einige Männer bessern die großen Netze aus währen andere die Segel sowie die Auslegerkanus reparieren. Mit bunten Plastikschüsseln am Kopf tragen die Frauen nun die Fische nach Hause.

Wir begleiten sie zu dem kleinen abgeschiedenen Dorf, wo die Vezo noch ein sehr traditionelles Leben führen. Ihre Häuser bestehen aus Holz und sind zum Schutz vor Ungeziefer meist auf Pfählen errichtet. Die Hauswände bestehen aus Palmwedel und gespaltenem Bambus. Der Innenboden wird meist einfach aus gestampftem Lehm hergestellt, auf den eine Reisstrohmatte liegt. Ihre Lichtquelle besteht meist aus Petroleumlampen oder Kerzen - gekocht wird mit Holz und Holzkohle. Die meisten Haushalte sind nicht an eine Wasserversorgung angeschlossen und sind deshalb auf nahegelegene Quellen und Flüsse angewiesen.

Bei den Bezileo im Hochland

Von der Westküste führt uns die Reise nun Richtung Osten in das Hochland. Kurvenreich schlängelt sich die Straße durch die Gebirgsregion, und nach jeder Kurve erscheint ein neues Landschaftsbild. Eine Palette von malerischen, saftigen Grüntönen der riesigen Reisterrassen prägt das Bild der Landschaft.

Wir sind nun im Gebiet der Bezileo (was so viel heißt wie „die Unbesiegbaren“). Ihre Vorfahren stammen aus Südostasien, wie an ihren glatten Haaren und asiatischen Gesichtszügen deutlich erkennbar ist. Wichtige Statussymbole der Bezileo sind ein großes Backsteinhaus, ein steinernes Familiengrab, viele Zebus große Reisfelder und viele Kinder als Altersversicherung.

Die wohl ungewöhnlichste Tradition ist das Fest der „Famadihana“ – die Totenumwendung. Dabei werden die Verstorbenen aus deren Gräbern geholt, mit Musik und Gesang durch das Dorf getragen und anschließend wieder in neue Laken eingewickelt in das Familiengrab gebettet. Die Grabstätte ist ein sehr wichtiger Bezugspunkt: es ist sichtbares Zeichen für die Präsenz der Ahnen und damit Brennpunkt deren Energie und Macht. Daher ist es für sie wichtig, einmal im Kreis der Ahnen begraben zu werden.

Reis als Lebensgrundlage

Von ihren Vorfahren aus Asien haben die Bezileo eine spezielle Art des Reisanbaus mitgebracht. Zur Vergrößerung der Anbauflächen haben sie im Laufe der Jahrhunderte mit ungeheurem Arbeitsaufwand bis hinauf in schwindelerregenden Höhen überall Terrassenfelder mit einem ausgeklügelten Bewässerungssystem angelegt. Wir machen immer wieder Halt bei den Feldern, um die Reisbauern zu beobachten, wie sie im Schlamm hinter ihren Zebus mit dem Pflug den Boden bearbeiten. Für uns tolle Fotomotiv – für die Menschen aber eine äußerst mühsame Arbeit für ihren Überlebenskampf. Maschinen gibt es hier nicht. Wie in früheren Zeiten ist sehr viel Handarbeit bei der Aussaat oder beim Ernten. So stehen auch die Frauen stundenlang im schlammigen Feld und stecken die Reissetzlinge in Reihen - eine Knochenarbeit!

Diese Reisfelder und Reisterrassen bilden eine ganz wichtige Lebensgrundlage. Denn der Produktionsdruck ist groß: etliche Familien hier bis zu sechs Kinder. Und Essen heißt hier „Reis essen“. Die meisten Menschen essen drei Mal am Tag Reis. Im Schnitt verzehrt ein Madagasse somit rd. 150 - 200 kg Reis pro Jahr. Damit hat Madagaskar weltweit den größten Reisverbrauch und übertrifft sogar den Reiskonsum der asiatischen Länder um ein Vielfaches!

Ein trauriges Kuriosum: Viele Reisbauern, die ihren eigenen Reis anbauen, können es sich nicht leisten, diesen auch selbst zu verzehren. Sie verkaufen ihren Qualitätsreis, um sich den billigen minderwertigen Reis aus dem Ausland (Pakistan) leisten zu können.

Bedrohte Umwelt

Neben wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten hat das Land auch mit Umweltzerstörung zu kämpfen. Madagaskar war früher einmal eine blühende Insel. Einst war fast die ganze Fläche mit Wald bedeckt. Doch durch Brandrodung und Buschfeuer hat sich im Laufe der Jahre das Landschaftsbild völlig verändert. Fast 90% der ursprünglichen Regen-, Trocken und Dornenwälder sind in den letzten 100 Jahren verschwunden!

Der Hintergrund für diese Entwicklung: die stark wachsende Bevölkerung benötigt immer neue Ackerflächen. Daneben werden rund 70% des abgeholzten Holzes fürs Kochen verwendet (Holzkohle als Brennstoff). Dieser Raubbau hat auch auf die einzigartige Tierwelt katastrophale Auswirkungen: Wenn ihr Lebensraum nicht mehr vorhanden ist, werden etliche der endemischen Tierarten aussterben. Und das wird sich wiederum negativ auf den Tourismus auswirken. Ein Umdenken ist dringend notwendig.

Gelungenes Beispiel für Ökotourismus

Ein sehr gelungenes Beispiel dafür, wie man Natur- und Umweltschutz mit der Versorgung der Bevölkerung verbinden kann, konnten wir im Anja Reservat kennen lernen. Hier lernten wir Adrien kennen, der ein einmaliges Projekt initiiert hat. Nachdem bereits die Hälfte des Waldes in der Region der großräumigen Brandrodung zum Opfer gefallen ist, ergriff er und eine Gruppe junger Leute die Initiative, um mit der Natur nachhaltig zu wirtschaften. Mithilfe der Regierung und ausländischer Organisationen wurde der Wald wieder aufgeforstet. Gleichzeitig wurde die Bevölkerung für den Ökotourismus sensibilisiert und aufgeklärt.

So gelang es schließlich, das Töten der Tiere einzudämmen (die in vielen Teilen als Delikatesse galten) und sie bewusst zu schützen. So ist das Anja-Reservat heute die Heimat für die putzigen Kattas mit ihren grau-weiß geringelten Schwänzen. Mittlerweile sind es 600 Tiere, die hier in intakter Natur leben.

So wie für uns ist das für alle Touristen eine besondere Attraktion - und schafft Arbeitsplätze. Rund 2.500 Menschen können heute in der Region aus den Einnahmen der verschiedenen Projekte ernährt werden. So hat Adrien im Laufe der Jahre viele junge Männer zu Guides ausgebildet, die die Touristen auf gut ausgebauten Wegen durch den Wald führen. Andere arbeiten als Forstarbeiter, Wegeausbesserer oder Wachpersonal. Neben diesem Ökotourismus kümmert sich das Anja Community Reserve auch um den Bau von Grundschulen und Gesundheitszentren in den umliegenden Dörfern. Damit ist dieses Projekt ein gutes Beispiel, wie man Natur- und Umweltschutz mit wirtschaftlichen Aspekten verbinden kann. Und findet hoffentlich Nachahmung.

Abenteuer mit dem Dschungelexpress

Madagaskar hat in jeder Hinsicht viel zu bieten, doch eine Fahrt mit dem urigen Dschungelexpress zwischen dem Hochland und der Ostküste darf nicht fehlen. Die Bahnlinie wurde zwischen 1926 und 1936 während der französischen Kolonialzeit erbaut. Aufgrund der schwierigen Trassenführung gilt die knapp 170 Kilometer lange Strecke als bautechnische Meisterleistung. Steiles, regenwaldbewachsenes Terrain musste mit Axt und Machete befahrbar gemacht werden.

Dreimal wöchentlich startet der Zug von Fianarantsoa aus bis zur Küstenstadt Manakara. Über 67 Brücken und durch 48 Tunnels überwindet die Strecke 1.100 Höhenmeter. Für die rund 200.000 Einwohner dieser Gegend ist der Dschungelexpress von großer Bedeutung, denn die Bahnlinie fährt durch Gegenden, die einzig und allein durch den Zug erschlossen sind. „Der Zug des Lebens“, wie ihn die Einheimischen nennen, sorgt für die Verpflegung aller Orte entlang der Strecke.

Mora Mora

Mora Mora“ heißt das Zauberwort, das wir bei unserer Reise immer wieder hören. Es bedeutet so viel wie „Langsam, langsam!“ oder „Immer mit der Ruhe!“. Gelassenheit ist hier tatsächlich gefragt, denn keiner weiß, ob oder wann der nächste Zug kommt. Der Aushang mit Fahrzeiten hat nur dekorativen Charakter – alle Zeitangaben sind lediglich grobe Indikatoren, nichts ist garantiert. Neben dem Wetter und dem Zustand der Gleise hängt vor allem über der Funktionstüchtigkeit der Diesellok aus dem Jahr 1936 ein großes Fragezeichen.

Nun begann auch für uns das Ratespiel: fährt der Zug heute oder nicht? Nach zwei Stunden Zuwarten in unserem Quartier in Sahambavy (die zweite Station nach Fianar) dann die ersehnte Nachricht: der Zug ist abgefahren und unterwegs zu uns. Für uns der Beginn des abenteuerlichsten Teils unserer Reise.

Der Bahnsteig in Sahambavy ist voll mit wartenden Menschen. Auf den Gleisen eilen noch etliche schwerbepackt herbei, während der Zug in die Station einfährt. Da es nur eine Lokomotive gibt ist er Personen- und Güterzug in einem. Vor die altersschwache Lok ist eine Draisine mit einem offenen Waggon gespannt - ein großes Glück für uns, wie sich später herausstellen sollte.

Die zweite Klasse ist hoffnungsvoll überfüllt. Überall drängen sich die Menschen, um einen Platz zu ergattern und ihre Kisten, Säcke und Körbe zu verstauen. Wir nehmen in einem uralten Waggon der ersten Klasse Platz und der Zug setzt sich in Bewegung.

Auf unsere (naive) Frage nach der Fahrtdauer bekommen wir zur Antwort: „Mora Mora“ – zwischen neun und 16 Stunden. Es hängt ganz davon ab… Aufgrund der altersschwachen Gleise fährt der Zug dementsprechend langsam mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rd. 18km/h.

Die Einfahrt in die Stationen ist jedes Mal ein besonderes Ereignis - ein großes Hallo und hektisches Treiben. Die Aufenthalte an den Bahnhöfen sind sehr unterschiedlich. Es hängt davon ab, wieviel Gepäck und Güter ausgeladen werden müssen, die ziemlich unsortiert in den Güterwaggons liegen. Meist dauern auch die Rangierarbeiten mit den vollen und leeren Güterwaggons auch länger als gedacht. Manchmal werden auch Reparaturarbeiten an der Lok oder den Gleisen vorgenommen.

Erwachsene und Kinder bieten Bananen, Kuchen, Erdnüsse, warme Speisen und sogar Brennholz an. Dadurch hoffen sie auf kleine Einnahmen. Mittlerweile hat es zu regnen begonnen und die Menschen stehen barfuß im Schlamm.

Ein ungeplantes Erlebnis

Bereits während der Fahrt werden einige Güterwaggons abgehängt, damit die Belastung für die Bremsen nicht zu groß wird. Dann heißt es, dass ein Waggon aus den Schienen gesprungen ist. Gerüchte über technische Probleme machen die Runde. In der Station Tolongoina werden diese zur Gewissheit: Der Zug fährt nicht weiter.

Wir müssen unseren 1. Klasse-Waggon verlassen und in die Draisine umsteigen. Welch Glück, dass der Zug eine mitführte…Naturgemäß ist in einer Draisine wenig Platz. Wie Sardinen in der Büchse stehen wir nun auf engstem Raum eng aneinandergedrängt. Und so geht die Fahrt weiter - jetzt sogar rascher, weil es ja keine Waggons mehr gibt. So sind wir noch etlichen Stunden unterwegs. Mittlerweile ist es Nacht geworden. Wir fahren durch mehrere an Tunnel - Licht gibt es keines. Am Ende sind wir froh, als wir nach zehn Stunden im Dschungelexpress unser Ziel erreichen. Aber auch solche Erlebnisse gehören zu Madagaskar.


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