Papua-Neuguinea

Eine Zeitreise in die Vergangenheit
Archaische Rituale, unberührter Dschungel und Muschelgeld als Parallelwährung: Papua-Neuguinea steht irgendwo zwischen Steinzeit und Moderne. Ein Besuch in einem Land, in dem der Tourist selbst noch die Attraktion ist.

Wie Hintergrundmusik fließt das Wasser dahin. Einmal friedlich plätschernd - dann wieder wild und rauschend. Dieser „Natur-Sound“ begleitet uns unentwegt - denn wir marschieren direkt im Fluss. Und das nicht in unseren Alpen, sondern im fernen Papua Neuguinea. Papua, nach Grönland die zweitgrößte Insel der Erde fasziniert nicht nur durch die Vielfalt der ethnischen Gruppen, sondern auch durch eine fantastische Berglandschaft.

Frauen waschen ihre bunten Kleider im Fluss, Kinder spielen vergnügt auf der Sandbank. Doch wir haben keine Zeit zum Verweilen. Konzentration ist gefragt, denn die Steine, auf denen wir uns immer wieder fortbewegen, sind glitschig und rutschig. Am Rande eines kleineren Wasserfalls ist eine kurze Kletterpartie angesagt - ein riskantes Unterfangen. Das Wasser reicht an manchen Stellen bis weit über die Knie und hat eine ziemliche Strömung. Gerne ergreifen wir dann die Hand unserer einheimischen Begleiter. Ein ganzer Tross von Männern, Frauen und Kindern geht mit uns. Wir sind eine Attraktion, denn es kommen nicht viele Touristen hierher. In ganz Papua sind es lediglich 70.000 im Jahr. Und die meisten besuchen nur die großen Sing-Sing-Festivals. Sie bekommen nur wenig mit vom Leben der Menschen im Alltag.

Die größeren Kinder tragen die Kleinen auf dem Rücken. Die meisten sind barfuß unterwegs. Da muss man besonders aufpassen, wo man hintritt – plötzlich fischt einer der Männer eine kleine Schlange aus dem Wasser. „Nicht giftig“, beruhigt ein Begleiter. Dann haben wir unser Ziel erreicht und stehen direkt unter dem mächtigen, tosenden Wasserfall. Die Wassermassen stürzen hier rund 30 Meter in die Tiefe. Fröhlich tummeln sich Buben im Naturpool am Fuße des Wasserfalls. Im Gegensatz zu uns war es für sie offenbar nicht anstrengend, hierher zu kommen.

Bei den Paradiesvögel im Dschungel

Konditionell nicht so herausfordernd ist unsere Tour durch den Bergdschungel in der Provinz Enga. Max, unser Guide, hat hier ein kleines Tourismusprojekt entwickelt. In mühsamer Kleinarbeit hat er durchs dichte Urwaldgestrüpp einen Pfad angelegt und bietet nun geführte Wanderungen an. Er erklärt uns, wie man im Dschungel überleben kann und verrät, wie man mit einfachsten Mitteln Tierfallen aufstellt. Große Bewunderung erntet er, als er, nur mit Hilfe von Lianen um die Füße, hoch hinauf auf die Plamen klettert, um von dort Früchte zu holen.

Stolz präsentiert er uns seinen Orchideengarten, den er mit seiner Frau angelegt hat. Kein Land der Erde weist mehr Orchideenarten auf als Papua. Und er führt uns zu speziellen Plätzen für Vogelbeobachtungen. Papua ist berühmt für seine bunt schillernden Paradiesvögel. Insgesamt gibt es 38 verschiedene Arten. Das Balzverhalten der prächtigen Männchen ist legendär. Die Federn sind begehrter Schmuck für die Tänzer bei den Sing-Sing-Veranstaltungen.

Alte Traditionen in der Moderne

Neben ausführlichen Wanderungen haben wir immer wieder Gelegenheit zu ausgedehnten Spaziergängen durch traditionelle Dörfer im Hochland. Die Kunde von den weißen Fremden scheint sich in Windeseile verbreitet zu haben. Nirgendwo sind wir allein. Schlagartig schwillt die Gruppe unserer Begleiter an und rasch hat jeder von uns seinen „privaten Guide“. Das hat den unschätzbaren Vorteil, dass wir sehr viel und authentisch über das Alltagsleben in den entlegenen Dörfern erfahren. Eine „Zeitreise in die Vergangenheit“: das Leben der Stammesgruppen ist nach wie vor von Tradition, alten Gebräuchen und auch Aberglauben geprägt.

Manche Ortschaften sind nur kleine Weiler, die aus wenigen Rundhütten mit Wänden aus geflochtenen Palmblättern bestehen. Das Zentrum eines jeden Dorfes bildet das Männerhaus. Im Unterschied zu unserer Kultur leben die Familien nicht in einem gemeinsamen Haushalt: Während die Frau mit ihren Kindern und den Schweinen im Familienhaus lebt, verbringen die Männer mit ihren älteren Söhnen die meiste Zeit im „Männerhaus“.

So ein Haus gibt es in jedem Dorf, Frauen ist streng verboten, es zu betreten. Für uns ist es eine große Ehre, eines besichtigen zu dürfen. In gebückter Haltung gelangen wir durch den niedrigen Eingang in das Innere der Hütte. In der Mitte des dunklen Raumes befindet sich die Feuerstelle, von der uns sofort beißender Rauch in die Nase steigt. In eigens dafür vorgesehenen Plätzen werden rituelle Gegenstände wie heilige Steine, Muschelbänder oder Schweinezähne aufbewahrt.

Schweine und Mumu

Schweine sind in Papua mehr als nur Haustiere. Sie gelten als Zeichen für Glück und Wohlstand. Sie sind Tauschobjekt, Statussymbol sowie Zahlungsmittel. In dem uralten Ritual des gegenseitigen Beschenkens bildet das Schwein das wichtigste Geschenk. Wie wichtig dieses „Kulturgut“ ist zeigt sich auch daran, dass auf dem 20-Kina-Schein ein Schwein abgebildet ist. Und auch heute noch wird ein Teil der Mitgift mit Borstenvieh beglichen. Hochzeiten, Initiationsriten oder Begräbnisse sind üblicherweise mit einem Schweinefest verbunden.

Auch wir bekommen ein eigenes Fest: In einem kleinen Bergdorf wird für uns ein „Mumu“ zubereitet - ein Schwein wird geschlachtet. Das ist nichts für schwache Nerven: Mit einer Holzstange prügelt der Krieger so lange auf das laut quiekende Schwein ein, bis es zuckend liegen bleibt. Die Haare werden im Feuer abgesengt, danach wird das Tier zerlegt. Aufmerksam schauen alle zu, wie das Schwein ausgenommen wird. Faustgroße Steine werden im Feuer erhitzt und in eine ausgehobene Erdmulde gelegt. Danach wird das Fleisch mit Farn- und Bananenblättern umwickelt und mit Yams und Taro im Erdofen vergraben. Nach mehreren Stunden werden die Köstlichkeiten ausgegraben und verteilt.

Muschelgeld und Polyandrie

Neben den Schweinen ist das Muschelgeld ein wichtiges Symbol für Reichtum. Nur mehr vereinzelt wird es heute als Zahlungsmittel verwendet. Die offizielle Währung heißt „Kina“ – und das bedeutet in der Sprache der Papua nichts anderes als Muschel. Die Tolai Exchange Bank in Papua Neuguinea ist die einzige Bank der Welt, die Muschelgeld in harte Währung wechselt.

Einst wurden die rot eingefärbten Muscheln vor allem als Brautpreis verwendet. Heute werden für die Bräute neben Schweinen echte Banknoten gefordert. Trotz Missionierung wird von manchen auch heute noch die traditionelle Vielehe praktiziert. Der Status eines Mannes hing früher nicht zuletzt davon ab, wie viele Frauen er für sich gewinnen und sich auch leisten konnte. Denn nicht nur die Heirat, sondern auch der Lebensunterhalt stellen bedeutende Ausgabenposten dar. Das bestätigte auch John, unser Driver, der mit zwei Frauen verheiratet ist.

Erstaunen ruft bei uns der Chief von Komea hervor: Er hat nicht weniger als 15 Frauen, ungefähr 55 Kinder und mehr als 200 Schweine. Die Namen der Kinder hat er sich nicht alle gemerkt, aber die Frauen müssen alle gleich behandelt werden. Jede hat ihr eigenes Haus. Er selbst wohnt, selbstverständlich, im Männerhaus.

Konflikte gehören zum Alltag

Mit dem Nachbarstamm friedlich zusammenzuleben ist in diesem Land eher die Ausnahme. Streitigkeiten sind für viele Papuas der Normalzustand. Die Anlässe sind vielfältig. Neben Rache für Mord oder Gewaltverbrechen geht es meistens um Land, um ein Schwein, das überfahren oder gestohlen wurde, oder um Frauen.

Eine Ursache für die vielen Streitigkeiten mag auch darin liegen, dass in Papua fast 800 Sprachen gesprochen werden. Diese sind so unterschiedlich, dass sich selbst Nachbarstämme nicht verständigen können. Auch wenn dieses Problem heute durch das Tok Pisin (auch als Pidgin-Englisch bekannt) gemildert ist, werden Streitigkeiten auch jetzt noch oft handgreiflich ausgetragen.So werden in der Region um Goroka und Mount Hagen jedes Jahr immer wieder Menschen infolge von Stammesfehden getötet.

In diesem Zusammenhang muss auch die Magie genannt werden, die neben dem christlichen Glauben immer noch eine große Rolle spielt. Unerklärliches wird oft Hexerei und anderen überkommenen Erklärungsmustern zugeschrieben, Krankheit und Tod sowieso. So wurde ein Clan wurde für den Tod eines Menschen durch Gift oder Hexerei verantwortlich gemacht. Bis heute konnten die Menschen nicht nach Hause zurückkehren. Das Dorf ist abgebrannt, die Angst zu groß.

Um diesen Kreislauf aus Krieg und Rache zu durchbrechen, werden vom Staat sog. „Peacemaker“ bezahlt. Sie sollen mithelfen, Streitigkeiten friedlich zu regeln. Meist geschieht dies durch Zahlung von Schadenersatz. Clans, die Kompensationszahlungen anstelle von Blutrache akzeptieren, erhalten als erste eine neue Straße oder einen ähnlichen finanziellen Anreiz.

Die Schlamm-Männer im Dschungel

Noch vor 40 Jahren sehr gefürchtet waren die Asaro, die legendären Schlammkrieger. Wer sie in ihrer Kriegsbemalung zu sehen bekam, war meistens dem Tod geweiht. Eine Ahnung davon bekommen wir in einem kleinen Dorf: Rauchschwaden ziehen durch die Dschungelvegetation. Gespenstisch taucht ein Krieger auf. Sein Körper ist von oben bis unten mit weißem Schlamm bedeckt. Den Kopf ziert eine voluminöse, furchterregende Lehmmaske. In gebückter Haltung schleichen sich nun die anderen lautlos heran. Sie bewegen sich geschmeidig wie in Zeitlupe, mit Bogen und Speer in der Hand. Gebannt folgen die Blicke der Zuschauer den Kriegern. Plötzlich hebt einer den Bogen hoch, blitzschnell schnalzt die Sehne - uns stockt der Atem. Doch der Pfeil bleibt in der Hand am Bogen, die Sehne surrt ins Leere…

Mit ihrem Tanz erzählen die mudmen ihre unheimliche Geschichte: Vor langer Zeit waren die Asaros von einem mächtigen Nachbarstamm überfallen worden, der ihnen ihre Frauen raubte. Um diese zurückzubekommen schlichen sie im Schutz der Dunkelheit zu deren Dorf. Auf dem Weg dorthin versteckten sich in einem Flussbett. Als sie später wieder auftauchten, waren sie über und über mit weißem Fluss-Schlamm bedeckt. Wegen des furchterregenden Anblicks ergriffen die Feinde sofort die Flucht. Heute sind die Schlammkrieger nur noch Show und weit über Papua hinaus bekannt. Mit ihren einprägsamen Masken wurden sie für viele zum Gesicht des Landes.

Sing-Sing: Tanzen statt Töten

In den Eastern Highlands erwartet uns ein Höhepunkt dieser Reise: das „Sing Sing“ in Goroka. Mitte September ist die kleine Provinzhauptstadt der wichtigste Ort des Landes. Die 20.000 Einwohner zählende Stadt schwillt dann auf das Zehnfache an.

1957 organisierte die australische Kolonialverwaltung das erste Mal ein großes Sing Sing. Mit dieser kulturellen Machtdemonstration wollte man den immer wieder aufkommenden blutigen Stammesfehden eine friedvolle Alternative entgegensetzen. Aufgestaute Aggressionen sollten in den Tänzen und vor allem in den nachgestellten traditionellen Kriegsspielen abgebaut werden. Die Stämme sollten sich nun im friedlichen Tanz und in der Musik messen - der ewige Kreislauf von Krieg und Rache durchbrochen werden. Die Rechnung ging zunächst nicht auf. Die Sieger erhielten einen Geldpreis und sofort begannen die unterlegenen Stämme wieder mit kriegerischen Auseinandersetzungen. Nach einigen Jahren änderte die Kolonialregierung die Preisverteilung, statt Geld für die Gewinner gibt es seitdem Startgeld für alle Teilnehmer. So wurde aus dem Sing Sing doch noch eine Erfolgsgeschichte.

Aus allen Teilen des Landes sind die kostümierten „Culture Groups“ nach Goroka angereist. Mit ihren farbenprächtigen Stammestrachten, den eigenen Tänzen und Gesängen haben sie nun die Möglichkeit, ihre kulturelle Identität zu demonstrieren und sich von den anderen stolz abzuheben. Es gilt hier, mit ihren phantasievollen Darbietungen zu imponieren – aber auch die anderen zu bewundern, statt sie zu bekämpfen.

Ein Krieger blickt konzentriert in den Spiegel und nickt zufrieden. An der Mimik kann man erkennen, wie ernst das Sing Sing genommen wird. Das Bemalen der Gesichter und Körper ist eine stundenlange Prozedur. Geduldig werden die feinen Farblinien gezogen. Man will sich selbst und den Clan vor dem Publikum perfekt präsentieren.

Mehr als 2.000 Tänzer und Sänger verwandeln den Festplatz in ein buntes Chaos. 120 Gruppen aus ganz Papua sind gekommen. Ihre Darbietungen erzählen von Mythen, Legenden und besonderen Ereignissen. Kinder mit echten Vogelflügeln und dichtem Fellkostüm umkreisen die Tänzer der Nokondi Se Dowa aus den Eastern Highlands, bemalt halb als Mensch, halb als Fabelwesen. Je wilder und archaischer das Aussehen, desto besser. Die Hulis erscheinen wie furchterregende Urwaldkrieger – mit gelber Gesichtsbemalung, den Speer in der Hand und mit unzähligen Paradiesvogelfedern geschmückt. Ganz anders die Männer aus der Provinz Enga. Hier dominieren die Farben Rot und Gelb und die dichten Vollbärte sind weiß gefärbt.

Noch archaischer präsentiert sich ein Clan aus Mount Hagen von den Western Highlands. Ihre Gesichter haben sie mit gebogenen Wildschweinhauern geschmückt, ihr Lendenschurz besteht aus groben Lederhäuten. Gespenstisch wirken die Tänzer der Omo Masalai Group mit ihrem Skelett-Look. Wie schillernde Paradiesvögel sehen Mitglieder der „Peanut Group Mamas“ aus. Die Haut rot-weiß getönt, ein dichter Strauß exotischer Federn auf dem Haupt. Stolz präsentieren die durchwegs korpulenten und barbusigen Damen mit ihren Röcken aus Gräsern und Blättern ihre prächtigen und schweren Muschelketten am Hals.

Die Federn der Kasuare und Paradiesvögel wiegen im Rhythmus der Trommeln. Stampfend tanzen die Männer vor und zurück. Herausgeputzt mit einem prächtigen Kopfschmuck aus Hunderten Federn, Samen, Blüten und Blättern. Beim Sing Sing in Goroka übertrumpfen die Männer mit ihrem Schmuck oft die Frauen. Ganze Holzgerüste tragen die langen Federn, fächerförmig aufgesteckt oder angeordnet wie ein Hahnenkamm. Den Rücken ziert ein Tukan-Schnabel.

Deutlich unterscheiden sich die fröhlichen Rhythmen der Inselbewohner vom monotonen Singsang der Clans aus den Highlands. Hell erklingen die Bambusrohre und tauchen das Gelände in Südseeflair. Plötzlich geht ein Ruck durch die Menge, die Menschen springen zur Seite. Die Manu-Tänzer sind da.

Ihre riesigen Plastikpenisse rücken die Kostüme neben all den Blättern, Gräsern und dem Lehm in die Moderne und zeigen anschaulich, worum es bei all den Tänzen geht: um Helden im Kampf, um Frauen und Sex. Das Dröhnen der Trommeln, die schrillen Gesänge und die martialische Bemalung versetzen uns in eine andere Zeit und lassen erahnen, wie wohl einst die echten Kriegstänze ausgesehen haben …


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