Bhutan

Im Land des Donnerdrachen
Klöster, Dzongs, Gebetsfahnen und Chili. Oder: Wie das Mobiltelefon eine Gesellschaft, die Glück über Geld stellt, ins 21. Jahrhundert katapultiert. Diese Balance zwischen Wahrung von Tradition und Offenheit für das Moderne, gleicht einem Drahtseilakt.

Bhutan, das Land das im Norden 7.000 Meter hohe Berge umgeben und im Süden ein undurchdringlicher Dschungel säumt. In dieser extremen Lage haben Land und Leute ihre Tradition erhalten, die stark von der Kultur Tibets beeinflusst ist.

Das Land des Donnerdrachen

An den öffentlichen Gebäuden der Stadt weht überall die Nationalflagge des Landes. Sie führt uns zwei zentrale Elemente des kleinen Staates vor Augen: Das gelbe Dreieck symbolisiert die weltliche Macht des Königs, das orange den Buddhismus. Der weiße Drache darauf steht für die Reinheit des Landes, das in der Landessprache „Druk Yul“ – „Land der Drachen“ bedeutet.

Bhutan ist das einzige Land, in dem der Vajrayana-Buddhismus Staatsreligion ist. Nahezu jeden Hügel krönt ein kleiner Tempel, den hunderte Gebetsfahnen umflattern. Tag und Nacht sendet der Wind die darauf gedruckten Gebete an die Götter. Bäche und Flüsse drehen Gebetsmühlen, um Segen zu erwirken oder Dämonen zu besänftigen. Schreine (Chorten) und Manimauern ( hoch geschichtete gravierte Steine mit heiligen Texten) säumen Wege und Straßen, erzählen von den Lehren des Buddha und schützen vor Gefahren.

Kaum jemand kann sich dieser spirituellen Stimmung verschließen, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Es ist diese buddhistisch-heitere Gelassenheit der Menschen, ihre Unberührtheit. Die magische Kraft von Göttern und Geistern ist allgegenwärtig. Das ganze Land ist heiliger Boden. Jeder Fels oder Fluss, jede Grotte hat seine eigene Geschichte. Berge erzählen von schlafenden Elefanten oder stolzen Löwen.

Spagat zwischen Tradition und Moderne

Die Traditionsverbundenheit der Menschen zeigt sich bereits in ihrer Kleidung: Traditionelles Kleidungsstück der Männer ist der Go, der bis zu den Knien reicht und in Höhe der Taille gegürtet wird. Darüber tragen die Männer einen Zeremonienschal, dessen Farbe, Breite und Strickmuster den gesellschaftlichen Rang verrät: Weiß für einfache Bürger, blau für Volksvertreter. Gelb ist seiner Majestät vorbehalten.

Thimphu dürfte wohl die einzige Hauptstadt eines Landes sein, in der es keine Verkehrsampel gibt. Als man vor einigen Jahren eine Ampel installierte, wurde sie als zu anonym abgelehnt. Seither regelt wieder ein Polizist wie eh und je den Verkehr mit seinen weißen Handschuhen.

Mit der digitalen Kommunikation katapultierte sich das Land, das sich erst 1907 der Welt geöffnet hat, vom Mittelalter ins 20. Jahrhundert. Anfang der sechziger Jahre rollte das erste Auto durch Thimphu. 1990 wurde das Land an das weltweite Telefonnetz angeschlossen. Seit 1999 gibt es Fernsehen und Internet. Tradition und Telekommunikation begegnen wir im Alltag der Menschen: Während fromme Pilger unaufhörlich ihre Gebetsmühlen drehen und das heilige Mantra „Om mani padme hum“ („Oh du Kleinod im Lotos“) murmeln, spricht ein Mönch ins Mobiltelefon.

Bruttosozialglück

Ende der 1980er Jahre verfügte König Jigme Singye Wangchuk in seinem Land das politisch-philosophische Konzept des „Bruttosozialglücks“. Es stellt das Glück seiner Bürger über die wirtschaftliche Entwicklung, das Bruttosozialprodukt. Bei der Konzeption des Bruttosozialglücks („Gross National Happiness“) werden nicht nur materielle, sondern vor allem auch spirituelle Bedürfnisse als wichtig erachtet. Im Mittelpunkt stehen vier Kernbereiche:

  1. Nachhaltige und gerechte sozioökonomische Entwicklung
  2. Erhalt der Umwelt
  3. Bewahrung von Kultur und historischem Erbe
  4. Gute Regierungsführung

Mit dem Konzept des Bruttosozialglücks versuchte der König eine Balance zwischen Wohlstand, technologischem Fortschritt und nachhaltiger Entwicklung zu schaffen. Der schonende Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen führt zu einer heute seltenen Intaktheit und Schönheit der Natur: kristallklares Wasser und eine prächtige Fauna und Flora. Bhutan ist der einzige Staat der Welt, der gut ein Viertel seiner Fläche zu Nationalparks erklärt hat.

Chili und Tigernest im Paro-Tal

Das weitläufige Paro-Tal besticht mit schöner Landschaft und einer bemerkenswerten Architektur. Alle Gebäude sind mit aufwändig geschnitztem Dekor und einer Malerei verziert, die Dämonen abwehren soll. In den Fenstern hängen Girlanden mit knallroten Chili-Schoten zum Trocknen. Ein farbenfrohes, buntes Bild. Chilis finden in unterschiedlicher Intensität bei nahezu jedem Essen Verwendung. Das Nationalgericht Hemadatsi besteht fast ausschließlich aus Chili (Hema), das als Gemüse zubereitet und in einer Käsesauce (Datsi) serviert wird.

Wir besuchen das Taktshang–Kloster, das auf schmalen Felsterrassen an einer fast senkrechten Wand auf 2.950 Metern Höhe liegt. Am frühen Morgen steigen wir in etwa zwei Stunden 800 Meter aus dem Tal hinauf. Unsere Wanderung führt uns durch einen großen Wald mit uralten Bäumen. Von den Ästen hängen dichte Flechten herab. Im Zickzackkurs steigt der Pfad die Felswand entlang. Der Treppensteig bietet einen phantastischen Blick auf das „Tigernest“, wie die Gläubigen das Kloster bezeichnen, das 1998 bis auf die Grundmauern niederbrannte.

Der Legende nach ist der Magier Padmasambhava auf dem Rücken einer Tigerin hinaufgeflogen. An verschiedenen Stellen dieses heiligen Ortes hat er „spirituelle Schätze“ (geistliche Belehrungen) versteckt. Sie waren dazu bestimmt, von Wiedergeburten seiner Jünger entdeckt und verbreitet zu werden. Der Mystiker aus Tibet, der dort den Namen „Guru Rimpoche“ trägt, hat im 9. Jahrhundert den Buddhismus in Bhutan verbreitet.

Dzong – Heimat der geistlichen wie weltlichen Macht

In jedem der zwanzig Verwaltungsbezirke gibt es einen Dzong, wie die gewaltigen Klosterburgen genannt werden, von denen aus Bhutan regiert wird. Halb Kloster, halb Zwingburg ist jeder Dzong ein Sinnbild für das in Bhutan praktizierte dualistische Herrschaftsprinzip. Denn jeder Dzong ist zweigeteilt und bietet gleichermaßen Heimat der geistlichen wie weltlichen Macht.

Die eine Hälfte bildet der Klosterkomplex mit Tempelgebäuden, Wohntrakten für Mönche und Lamas, sowie Bibliotheken und Gebetsräumen. Neben den bunten filigranen Schnitzwerken an Fenstern, Erkern und Dachgestühl beeindrucken farbenprächtige Malereien, wie die vier Himmelswächter ebenso wie der ganze Pantheon aus Buddhas und Bodhisattvas.

Durch einen zentralen Turm getrennt liegt der weltliche Bereich mit den Büros der Beamten. Wie vor Jahrhunderten müssen Bittsteller in traditionellem Gewand erscheinen. Chencho, unser Guide, ist erstaunt als eine Gruppe von Männern mit Schals, die einen hohen Rang anzeigen, unseren Gruß freundlich erwidern. Ich gehe auf den ersten von ihnen zu und erkläre ihm auf sein Fragen, woher wir kommen. Chenco kann es nicht fassen – es ist der Finanzminister des Landes, der sich mit uns unterhält…

Klosterfeste und Maskentänze

Ein ganz besonderes Erlebnis waren für uns die großen Tempeltanzfeste. Diese Mysterien-tänze (Cham genannt) stellen ein Mittel der Meditation und des spirituellen Austausches mit der Gemeinschaft der Gläubigen dar. Der prominenteste und traditionellste Tanz, der bei buddhistischen Festtagen aufgeführt wird, ist der „Tanz der acht Manifestationen des Padmasambhavas“. Im Laufe seines Wirkens nahm der Heilige zahlreiche Gestalten an. So wurde er beispielsweise ein Buddha, ein König, ein Yogi oder auch ein Ungeheuer. Diese Manifestationen symbolisieren verschiedene Aspekte der Erleuchtung. Seine „Acht Manifestationen“ bilden zunächst einen Kreis, in dem jede einzelne Erscheinungsform ihre Tänze vollführt. Padmasambhava nimmt schließlich auf einem Thron unter einem bunten seidenen Sonnenschirm Platz. Jetzt bildet sich eine lange Menschenschlange für die Verehrung.

Bogenschießen - der Nationalsport

Auf unserer Fahrt nach Osten kommen wir bei einer langgezogenen Kurve mit einer Wiese vorbei, auf der wir eine Gruppe von Männern sehen, die dem Nationalsport Nummer eins frönen: dem Bogenschießen. Mit mächtigen Bögen versuchen zwei Gruppen, die 120 – bis 140 (!) Meter entfernte Zielscheibe zu treffen, die lediglich 30 cm breit ist. Dieser ausschließlich den Männern vorbehaltene Sport hat seine Wurzeln in alten Zeiten, als Pfeil und Bogen noch Kriegswaffen waren. Außerdem versuchte man mit Bogenschießen auch die Dämonen und Geister zu vertrieben. Immer wenn einer „in ´s Schwarze“ getroffen hat, vollführt die Gruppe der Sieger einen kleinen Tanz und singt dazu. Ein fröhliches Treiben. Auch wir werden eingeladen, mit dem Bogen zu schießen. „Schaut doch nicht so schwierig aus” dachte ich und wollte es ebenfalls probieren. Aber ich schaffte es nicht einmal, den Bogen auch nur annähernd richtig zu spannen – geschweige denn einen Pfeil über diese weite Distanz abzuschießen…

Mit den Menschen in Kontakt

Neben den vielen Sehenswürdigkeiten und den beeindruckenden Zeremonien sind es vor allem die vielfältigen Begegnungen mit den Menschen, die uns alle emotional berührt haben. Dank der kleiner Gruppe hatten wir das große Glück, dass wir von Chencho in das Bauernhaus seiner Mutter zum Essen eingeladen wurden. Es sind hier andere Sitten und Gebräuche als bei uns. Nach dem Apperitiv, der aus Tee und Snacks besteht, lassen uns die Gastgeber in der guten Stube allein und kommen erst wieder, als das Essen serviert wird.

Jeder Bauernhof besitzt einen eigenen Raum mit einem Hausaltar. Auf dem kleinen Altar stehen vor den Thangkas (Rollenbilder) und den Heiligenfiguren sieben Schalen, die jeden Morgen mit Wasser gefüllt werden. Sie symbolisieren jene sieben Opfergaben, die man Buddha und den Schutzgottheiten darbringen soll.

Unterwegs begegnen wir öfter Kindern, wenn sie gerade auf dem Weg zur Schule oder nach dem Unterricht am Nachhauseweg sind. Auch die Schüler tragen die traditionellen Gewänder des Landes. Sie lernen unter anderem Englisch und stolz erzählt uns ein kleiner Bub von seiner Berufswahl: „I want to be a pilot“.

Das Erlernen der Fremdspreche wird pädagogisch unter anderem durch Singen englischer Texte unterstützt. Ein lustiges Lied (nach der Melodie von „Oh my Darling Clementine“) handelt davon, dass einer zu viel Chili gegessen hat, Durchfall bekommt und den Doktor rufen muss. Wir freuen uns riesig als Chencho eine kleine Bubenschar animieren kann für uns den Song „Chili eating, Chili eating“ zum Besten zu geben. Eine herrliche Szene mit Originalton für die Reiseshow…


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